Betriebsoptimierung in Energiesystemen: Experten-Interview über Potenzial und Möglichkeiten

Mikrofon im Tonstudio

Energiekosten senken ist für viele Industrieunternehmen ein wichtiges Ziel im Energiemanagement. Wo kann ich Energiekosten sparen? Welche Möglichkeiten der Optimierung gibt es? Über die Chancen und Grenzen einer Betriebsoptimierung haben wir Dr.-Ing. Stefan Kirschbaum, Optimierungsexperte bei der GFaI (Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik e.V.) gesprochen.

Das wollten wir wissen

 

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Jetzt mal ganz einfach erklärt. Was ist Betriebsoptimierung?

Aus meiner Sicht ist Betriebsoptimierung die Optimierung des operativen Betriebs eines Energiesystems. Meistens handelt sich dabei um ein Kraftwerk, aber es geht auch um Kälte-, Wärmeerzeugung, Dampf oder Druckluft. Ziel einer Betriebsoptimierung ist es, die Kosten für die Energiebereitstellung und den Betrieb des Energiesystems so gering wie möglich zu halten.

Es gibt – neben der Kostenminimierung – natürlich auch noch andere Ziele, nach denen Unternehmen optimieren können, wie z. B. möglichst geringe CO2-Emission oder minimaler Verbrauch an Primärenergie. Der häufigste Anwendungsfall ist jedoch in unseren Projekten die kostenorientierte Optimierung. Die Unternehmen möchten ihre Anlagen ohne weitere Investition optimal einsetzen und dies auf einer soliden Entscheidungsbasis und nicht nur nach Bauchgefühl.

Einfache Energiesysteme lassen sich mit Expertise auch manuell kostenorientiert steuern. Unter einfache Energiesysteme fallen beispielsweise Systeme, bei denen Energie nur auf eine ganz bestimmte Art und Weise erzeugt werden kann. Das Unternehmen deckt seine Last und kann aufgrund von nicht vorhandenen Freiheitsgraden wenig optimieren. Bei komplexeren Energiesystemen sieht dies anders aus. Komplexe Energiesysteme haben Freiheitsgrade, an denen ich „schrauben“ kann. Ein simples Beispiel: Habe ich zwei Anlagen, die eine Energieform erzeugen können, dann entscheiden Kapazität, Betriebskosten sowie technische Einsatzgrenzen über den Einsatz. Diese Freiheitsgrade gilt es ausnutzen, um zu minimalen Betriebskosten zu kommen oder – anders gedacht – zu maximalen Zusatzerlösen via Einspeisung.

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Wie können Unternehmen ihr Energiesystem optimieren?

Wie bereits erwähnt, optimieren die meisten Unternehmen die Energiekosten. Üblicherweise sind Energiesysteme mit Redundanz ausgelegt. So kann ich beispielsweise eine Anlage warten, während die andere im Einsatz ist. Die Freiheitsgrade liegen hier in der Redundanz. Mit der Liberalisierung des Strommarktes, dem Zugang zum Stromhandel und den schwankenden Preisen ist es durchaus sinnvoll, Anlagen in den Betrieb zu nehmen, die sonst nur als Back-up dienen. So könnte man Notstromaggregate, die für einen Stromausfall vorgehalten werden, beispielsweise dafür nutzen, Lastspitzen zu kappen.

Unserer Erfahrung nach haben die meisten Unternehmen Freiheitsgrade in ihrem Energiesystem. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Unternehmen sein Energiesystem so auslegt, dass der Bedarf nur auf eine Art und Weise gedeckt werden kann. Jedes Unternehmen muss, wie gesagt, auf einen Ausfall oder eine Wartung vorbereitet sein. Und dann gibt es häufig Energiespeicher. Hat ein Unternehmen bereits Speicher im Einsatz, gibt es hier auch einen Freiheitsgrad. Dieser wird meistens über Be- und Entladestrategien gesteuert, also z. B. nächtliches Befüllen, tagsüber Nutzung oder eine andere sinnvolle Strategie.

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Was können Unternehmen noch optimieren?

Ein weiteres Anwendungsgebiet: Industrieunternehmen können auch ihren Stromeinkauf optimieren. Eine Optimierung liefert eine solide Antwort auf Fragestellungen zur Einkaufsstrategie. Kaufe ich meinen Strom über langfristige Forwards, über den Day-Ahead-Markt oder Intraday-Markt? Hier gibt es jede Menge Potenzial, Strom günstig einzukaufen oder bei hoher Eigenerzeugung zu verkaufen. Wenn Unternehmen dann noch das eigene Energiesystem und seine Freiheitsgrade in die Betrachtung einbeziehen, können sie noch mehr herausholen, auch beim Handel am Markt.

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 Und wie sieht es bei CO2-Emissionen aus?

CO2-Emissionen sind in der Praxis selten ein Ziel in der Betriebsoptimierung. Die Unternehmensvorgaben, wie z. B. 20 % weniger Emission in einem bestimmten Zeitraum, werden durch Investitionen erreicht.

Ein wichtiges Thema im Kontext Optimierung ist bei Industrieunternehmen die ISO-50001-Zertifizierung. In jedem Audit müssen Unternehmen nachweisen, wie sie ihre Energieeffizienz verbessern konnten. Hier ist das Potenzial bei vielen Unternehmen ausgereizt bzw. die Maßnahmen werden immer teurer. Mit einer Betriebsoptimierung und unter Ausnutzung der Freiheitsgrade können Unternehmen eine weitere Energieeffizienzsteigerung erreichen und dies im Audit transparent belegen.

In Gesprächen mit Unternehmen höre ich immer mehr, dass Auditoren strenger vorgehen und auf nachvollziehbare Einsparnachweise drängen. Ein Ansatz der Betriebsoptimierung wäre hier beispielsweise: Wir fahren den Speicher jetzt noch mal ganz anders, haben dafür ggf. ein bisschen umgebaut und können jetzt durch eine geschicktere Einsatzplanung eine höhere Energieeffizienz gegenüber der Baseline herausholen.

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Neben geringen Energiekosten und CO2-Emissionen wird für viele Unternehmen mit dem Ausbau erneuerbarer Energien das Ziel Versorgungssicherheit immer wichtiger. Kann ich als Unternehmen auch auf Versorgungssicherheit hin optimieren?

Versorgungssicherheit und Betriebskosten sind häufig gegenläufige Themen. Versorgungssicherheit ist teuer. Dagegen zielt Optimierung darauf ab, Kosten einzusparen. Versorgungssicherheit ist bei vielen Unternehmen ein Thema in der langfristigen Investitionsplanung. Sie müssen schauen, ob die bestehenden Anlagen ausreichen. Sollte es mit der Energieversorgung einmal eng werden, dann steht die Lastdeckung an allererster Stelle, und die Kosten sind zunächst zweitrangig. Wohingegen die Energiekosten-Optimierung zwar auch ein langfristiges, aber eben auch ein kurzfristiges Thema ist.

In der Betriebsoptimierung gibt es immer bestimmte Redundanzkriterien zu erfüllen. So muss beispielsweise ein Kessel warmgehalten werden, falls ein anderer plötzlich ausfällt. Denn ich kann mir als Unternehmen – bei einem Kesselausfall – nicht leisten, mehrere Stunden zu warten, bis ein weiterer Kessel auf Betriebstemperatur ist. Solche Anforderungen beeinflussen natürlich das Betriebsoptimum. Es sind jedoch Anforderungen, die als Freiheitsgrad nicht zur Verfügung stehen und deshalb auch bei einer Betriebsoptimierung nicht genutzt werden können.

Die eigene Strategie zur Versorgungssicherheit bildet den Rahmen der Optimierung. Die Entscheidung dafür wird – meiner Meinung nach – langfristig getroffen, also auf einer anderen Ebene als die Entscheidungen rund um eine Betriebsoptimierung des Energiesystems.

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Wo lohnt sich Energieoptimierung besonders? Oder anders ausgedrückt: Wie kann ein Unternehmen herausfinden, wo das eigene Optimierungspotenzial liegt?

Für Optimierung braucht es einen Freiheitsgrad im Energiesystem. Das heißt konkret: Es braucht mehrere Anlagen, die eine Energieform erzeugen, und/oder Speicher sowie die Möglichkeit, aus verschiedenen Quellen (variable Tarife, Märkte) zu beziehen. So entsteht die Wahlmöglichkeit (Freiheitsgrad) zwischen Eigenproduktion und Fremdbezug.

Oder anders ausgedrückt: Mit den Freiheitsgraden spannen Unternehmen einen Lösungsraum auf, in dem sie nach der für sie besten Lösung suchen. Und es muss natürlich etwas dabei „herausspringen“. Das heißt: Das Delta zwischen der Fahrweise einer Anlage und der einer anderen muss signifikant sein. Hat ein Unternehmen zwei nahezu identische Kessel, ist die Wahl für die eine oder andere völlig egal. Interessant wird es, wenn eine Anlage Dampf und Strom, die andere dagegen nur Dampf erzeugen kann. Das ergibt einen signifikanten Unterschied in dem, was die Erzeugung in der einen oder anderen Anlage kostet. Dann lohnen sich auch Speicher, und die Energie wird von einen auf den anderen Zeitpunkt verschoben, wo sie mehr oder weniger wert ist. Das ist insbesondere interessant im Kontext der Leistungspreise oder bei atypischer Netznutzung außerhalb der Hochlastzeitfenster. Hier sind Hebel, und das Einsparpotenzial ist hoch.

Zu beachten ist: Das Einsparpotenzial muss den organisatorischen Aufwand wieder reinholen, den die Betriebsoptimierung mit sich bringt. Eine Energieversorgung, beispielweise mit festen Strompreisen, hat – vereinfacht gedacht – keinen oder nur einen kleinen Hebel. Ein Energiesystem mit mehr Flexibilität weist ein deutlich höheres Potenzial aus.

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Je komplexer ein Energiesystem, desto mehr Optimierungspotenzial. Warum?

Ja, das kann man so sagen. Aber der Grund ist vielleicht eigentlich ein anderer. Also ich glaube, je komplexer ein Energiesystem, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht schon optimal gefahren wird. Bei einfachen Energiesystemen liegt die Fahrweise häufig auf der Hand. Vergleicht man hier einen Kessel und ein BHKW, haben beide bestimmte Grenzkosten für die Wärmeerzeugung. Die des BKHWs sind normalerweise niedriger als die des Kessels. Und damit ist der Einsatz des BHKWs die günstigere Option. Das ist trivial.

Hat ein Unternehmen dagegen mehrere Speicher und weitere Anlagen, dann ist dies nicht mehr mit Excel zu rechnen, und die Wahrscheinlichkeit steigt, dass die Anlagen nicht unbedingt falsch, aber eben nicht optimal gefahren werden.

Es wäre schon ein sehr krasser Zufall bei einer gewissen Komplexität des Systems, wenn die Speicher mit der exakt richtigen Beladestrategie gefahren würden. Denn je komplexer das Energiesystem ist, desto schwerer ist es, zu überblicken, was ein optimaler Betriebszustand ist. Insbesondere dann, wenn die Anlagen auf verschiedene Geschäftsbereiche, wie z. B. Produktion, Facility Management etc., verteilt sind. Ein Datenaustausch und die ganzheitliche Optimierung finden dann häufig nicht statt.

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… ein Potenzial, das Unternehmen noch heben könnten, wenn sich die Daten verknüpfen ließen?

… genau, da ist natürlich dann auch der organisatorische Aufwand ein bisschen höher, grade wenn es unterschiedliche Business Units sind. Aber da ist sicherlich auch das Potenzial höher.

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Welchen Nutzen bringt Energieoptimierung in der Praxis?

Wir haben für einen Fernwärmeversorger in Österreich eine Betriebsoptimierung für ein Energiesystem mittlerer Komplexität installiert. Das Unternehmen hatte drei große BHKWs, drei Kessel und einen recht großen Speicher. Der Speicher war der eigentliche Hebel in dieser Optimierung. Außerdem besteht die Option, aus einem in der Nähe gelegenen Zementwerk Abwärme einzukaufen. Das Unternehmen versorgt rund 1.300 Kunden mit Fernwärme. Wir haben unter diesen Bedingungen eine tägliche Einsatzoptimierung des Erzeugerportfolios implementiert. (Mehr Info zum Projekt)

Der Hebel der Einsparung war so hoch, dass sich das Projekt inklusive Lizenzen für Software innerhalb weniger Monate amortisiert hatte.

Stefan Kirschbaum ist bei der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik e. V. (kurz GFaI) Produktmanager der Energieoptimierungssoftware TOP-Energy. Nach dem Studium der Physik hat sich Stefan Kirschbaum im Rahmen seiner Promotion im Fachbereich Maschinenbau an der RWTH Aachen intensiv mit der Simulation und Optimierung industrieller Energiesysteme und der Implementierung von Software in diesem Umfeld beschäftigt.

Bei der GFaI ist Stefan Kirschbaum für die Weiterentwicklung des Softwarepakets TOP-Energy zuständig. Im Rahmen seiner Tätigkeit hat er vielfältige Industrieprojekte im Umfeld der energetischen Optimierung bearbeitet und ist darüber hinaus Projektleiter für eine Reihe von Forschungsprojekten.

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